Pilotfolge „Verschlafen"
Übers Ankommen und Einleben.
Tag eins, eigentlich schon Tag 2, doch gestern wirkte die Zeit wie eine Einheit, die mir nicht bekannt war. Deswegen nennen wir den gestrigen Tag einfach „Tag 0“… Anreisetag. Der Tag der nicht gezählt wird, weil er kein angenehmer Tag war. Eigentlich war nur der Morgen nicht angenehm, der Rest war einfach neu, ungewohnt, un-erlebt.
Man fragt sich nun, was diese Anreise so unangenehm machte, es sei doch nur eine kurze Autofahrt und ein etwas längerer Flug. Doch wie schon zu oft gesagt, kann ich es nur noch einmal hervorheben und mit grellen Textmarker unterstreichen: Nach einem 5 Tage Festival ist es keine gute Idee sich direkt ins nächste Abenteuer zu stürzen. Ein, Zwei Tage Ruhe sollten auf jeden Fall sein. Doch jetzt sitze ich hier, froh, dass alles relativ glattgelaufen ist. Um das Festival kurz zu erwähnen, reicht es wahrscheinlich, wenn ich sage, dass es zu den besten Erfahrungen zählt, die ich erlebt habe. Nimm deine beste Freundin, einen Campingbus, der eigentlich ein Baustellenbus mit Bett ist, zwei Paletten Bier und eine Packung Lollis und du erhältst eine Woche voller Spaß und neuer Freundschaften.
Die Heimreise ist noch problemlos gelaufen, da die Autobahn leer war und zuhause gab es dann einen Haufen Umarmungen und eine heiße Dusche. Es war elf Uhr am Abend, der Flug ging um 6 Uhr am Morgen. Doch die geplanten zwei Stunden Schlaf wurden schnell zum Albtraum, als ich auf mein Handy schaute und die Zahlen 03:30 anstarrte. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit. Shit.
Also bin ich aus dem Bett gesprungen, hab Andi panisch aufgeweckt und bin mit einem Satz nach unten gerannt, wo ich anfing hektisch meine restliche Wäsche in den Koffer zu schmeißen. Viel Zeit blieb nicht übrig, also fuhren wir gleich los Richtung Wien. Diese eineinhalb Stunden fühlten sich an, als würde man im Dunklen sitzen, nachdem man einen Albtraum hatte. Einfach starr, nicht wirklich fähig geradewegs zu denken. Beim Flughafen angekommen stellte sich heraus, dass auch um 5 Uhr am Morgen eine Menge Leute in den Urlaub fliegen, denn die Schlange vor der Sicherheitskontrolle war enorm. Doch einige Minuten und mit 10 Euro weniger auf dem Konto später hatte ich auch schon ein „Skip Line“ Ticket. Für einen kurzen Moment fühlte sich mein Leben wie ein Liebesfilm an, als ich dastand, Andi umarmte und meine Augen sich ein wenig mit Wasser füllten. Doch Zeit für einen richtigen Abschied blieb leider nicht. Also ging ich zur Kontrolle, wurde überraschenderweise mal nicht auf Sprengstoff kontrolliert und konnte zum Gate laufen, wo die ersten Menschen schon ins Flugzeug stiegen. Und dann? Dann war ich im Flugzeug und konnte endlich aufatmen.
In England brachte mich dann ein netter Taxifahrer zum Haus, in dem ich meine nächsten 6 Wochen verbringen werde. Wir unterhielten uns die ganze Taxifahrt über. Er erzählte von seiner Tochter in Spanien und von wilden Ziegen und ich sprach von den Bergen in Österreich – Standard ich weiß. Ich wurde von Jade empfangen, einem Mädchen aus Südafrika, die sich ziemlich schnell und liebenswert in die Gruppe aufnahm. Die Gruppe besteht aus Jade, Claire, Andrea, Sergio, Leonardo, Jibs und Ramon. Ein Haufen toller Menschen, bei denen ich mich nach einer Tasse Kaffee schon wohl fühlte. Jeder ist ein wenig anders und lebt seine Kultur aus und doch sind hier alle ähnlich. Es ist einfach erfrischend. Nicht so erfrischend ist jedoch das Haus in dem wir leben, den es erinnert eher an eine „Crackbude“, leider ist das nicht übertrieben. Es ist uralt, ziemlich ekelhaft und klein für acht Personen. Aber es funktioniert alles, und es gibt einen schönen Garten mit Feuerstelle. Die Bäume und Sträucher sind so dicht, dass man sich fühlt wie in einer eigenen Fantasiewelt, was das Haus um einiges besser macht. Doch ich glaube, man gewöhnt sich ziemlich schnell an alles und wenn ich mir mal einen neuen Polster gekauft habe, ist alles halb so wild.
Am gleichen Morgen ging es schon zum Workshop wo wir Makramee Bänder machten. Es waren einige Kinder und Eltern dabei und es war ein angenehmer Start. Jetzt habe ich ein Makramee Armband und einen Schlüsselanhänger, der gleich verloren ging. Keine Tragödie – er war ziemlich hässlich. Ein Kind war dabei, Frida, die man mit einem Crackhead mit 15 Dosen Redbull intus vergleichen kann. Ich wurde vorgewarnt und nicht enttäuscht. Fernhalten ist hier die einzige Lösung. Im Workshop gibt es eine kleine Küche mit Pizzaofen, wo alle Teilnehmer Pizza bekommen, wir natürlich auch. Also haben wir Pizza gegessen und „Sky“ den Hund gestreichelt. Am späteren Nachmittag war ich dann so müde, dass ich zum Wegschmeißen war. Im Haus sind wir dann ein paar Stunden beisammen gesessen und dann hat Ramon gekocht. Reis mit Zwiebel und zermanschte rote Bohnen. Der Anblick war abstoßend, der Geschmack überraschend gut, da Ramone ein richtiger Gewürzspezialist ist.
Heute haben wir frei, montags ist der Workshop immer geschlossen und wir waren erst in der Bibliothek und jetzt sitzen wir alle mit unseren Laptops in der Küche und machen eine Lernrunde. Einige lernen für die Uni, die anderen eine Sprache und ich verwende die Zeit um zu schreiben – wieder in den Flow zu kommen. Dafür hab ich jetzt endlich genug Zeit, was mich sehr happy macht.
Apropos un-erlebt. Heute ist Tag 2, beziehungsweise Tag 1 und mir ist bewusst, dass diese Reise nur in zwei Richtungen gehen kann: Das Leben endlich erleben, Dinge tun, für die man sich sonst nie Zeit nehmen kann - Zeit nehmen will. Neues ausprobieren, sich selbst kennenlernen und erfahren, wer man ist - wer man sein möchte. Lesen und Gemeinschaft erleben.
Oder die andere Seite, die nicht so schöne Seite. Einsamkeit, Unwohlsein – aus dem Leben gerissen werden und in ein Haus geworfen werden, in dem man sich nicht wohlfühlt. Ein Gefühl, das bis zu dem jetzigen Zeitpunkt noch nicht da ist, jedoch sehr schnell auftauchen und die Oberhand ergreifen kann. Auch wenn ich noch einiges kennenlernen werden weiß ich, dass ich schnell so fühlen kann. Auch wenn die Menschen um mich herum liebenswert und lustig sind, schirmt mich oft irgendwas in meinem Inneren ab und ich ziehen mich zurück. Und doch ist da ein großer Teil in mir, viel größer als diese schlechten Gefühle, der sich schon jetzt wohl fühlt.
Doch was passiert in zehn Tagen, wenn der Großteil dieser Leute wieder ins Weite ziehen und neue Leute ins Haus einziehen? Noch weiß ich es sind, doch ist das nicht etwas Gutes? Nicht zu wissen was passiert, sich in etwas Neues stürzen? Ich werde es herausfinden